Heute reisen wir in die Vergangenheit, weit über 2.000 Jahre zurück. Damals weilte das heutige Südtirol in der Bronzezeit. Es gab noch keine Schrift, keine Aufzeichnungen, keine „Geschichte“. Es ist eine vor-geschichtliche Zeit.
Eine Geschichte ohne Geschichte?
Und doch gibt es heute noch Kunde von den damaligen Geschehnissen, verschlüsselt und verdichtet in mündlichen Erzählungen. Darin sind einzelne Menschenschicksale zu Archetypen verschmolzen. Es ging damals um die Lehre, die aus den Einzelschicksalen für die Gemeinschaft zu ziehen waren und nicht um die Verherrlichung einzelner Persönlichkeiten. Im letzten Jahrhundert begann man die Bedeutung dieser mündlichen Überlieferungen zu erkennen, sie aufzuzeichnen und zu ordnen. Man versuchte aus den Dolomitensagen eine klassische Geschichte zu machen.
Die Kunde der Sagen
Grödner Tracht
Foto: Ladinisches Kulturinstitut Micurà de Rü
Was man aus den Sagen an Geschichtlichem herauslesen kann? Es gab ein friedliches, matriarchalisch ausgerichtetes Volk, fruchtbare Böden, wo heute Felshalden liegen. Die Erzählungen zeugen von einem naturverbundenen Leben, bis fremde Völker Lebensraum suchten und die überbrachten Sitten und Gebräuche außer Kraft setzten. Die Rede ist wohl von den Römern, und besonders von Drusus, als er sich 15 v. Chr. im heutigen Bozen stationierte, um die Welt zu erobern. Die Eroberer benannten eine Provinz nach dem hier lebenden Volk Rätien.
Was die Geschichtsforschung dazu sagt
Über den Ursprung der Räter wird viel gemunkelt, weniges wissenschaftlich untermauert, einiges aus den Funden und den überlieferten Flurnamen herausgelesen. Es soll sich um Keltenstämme oder verdrängte Etrusker handeln. Geschichtlich dokumentiert ist die Unterwerfung und Zurückdrängung der Räter durch die Römer und ihre Vermischung mit den Vulgärlatein sprechenden Söldnern und Händlern. Aus dieser Situation heraus entstand eine romanische Sprache, die bis heute in 3 Varianten überdauert hat: das Rätoromanische in der Schweiz, das Ladinische in den Dolomitentälern und das Friaulische in der norditalienschen Provinz Friuli.
Der Weg in die Gegenwart
In den nachfolgenden Jahrhunderten, als der Stern der Römer wieder unterging und das Römische Reich im Rahmen der Völkerwanderung dem Druck der germanischen Völker aus dem Norden nachgab, wurden auch die Räter und ihre Sprache in die entlegenen Täler zurückgedrängt. Es entstanden die Sprach- und Kulturinseln, die wir heute noch kennen.
Kinder der Dolomiten
Die Talschaften Ladiniens in den 3 Provinzen
Foto: Ladinisches Kulturinstitut Micurà de Rü
Eine dieser Inseln ist Ladinien, das sich aus den 5 Talschaften um den Sellastock zusammensetzt. Auf politischer Ebene ist es auf 3 Regionen aufgeteilt, was die Weiterentwicklung als einheitliche Volksgruppe sehr erschwert. Vor allem ist ihre Anerkennung als eigene Volksgruppe in den Regionen sehr unterschiedlich. So besitzen Gardëina (Gröden) und Val Badia (Gader- oder Abteital) in Südtirol den Status der dritten Volksgruppe und die Anerkennung des Ladinischen als Amtssprache in den ladinischen Ortschaften. Die Ladiner von Fascia (Fassatal) sind im Trentino als Volksgruppe zwar anerkannt, es erwachsen ihnen daraus aber keinerlei Rechte. Fodom (Buchenstein) und Anpezo (Cortina d’Ampezzo) hingegen gehören zu Belluno und werden als ladinische Gebiete politisch ignoriert.
Und wie sieht die Zukunft aus?
Heute bemüht sich das
Ladinische Kulturinstitut Micurà de Rü um den Erhalt und die Weiterentwicklung Ladiniens. Es organisiert und fördert Initiativen, in deren Mittelpunkt die ladinische Sprache und Kultur stehen. Es veröffentlicht Bücher über die ladinische Sprache und zu den unterschiedlichsten Themen der ladinischen Kultur, sowohl in Ladinisch geschrieben als auch in anderen Sprachen. Für den wissbegierigen Besucher ist die Bibliothek von großem Interesse, wo jede Menge Schätze der ladinischen Sprache und Kultur sorgfältig aufbewahrt werden.
Wer mal richtig eintauchen will in diese neue alte Welt, mietet sich am besten bei einem
Privatvermieter in Ladinien ein. Scheuen Sie nicht, die Einheimischen auf Ladinien anzusprechen: Sie werden anregende Gespräche führen und überraschende Erkenntnisse gewinnen!